In Deutschland regiert in großen Teilen die Planwirtschaft

Interview mit Carsten Korfmacher (Nordkurier), dort zuerst erschienen am 25.09.2023, 11:52 Uhr.

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In Deutschland haben viele Bürger das Gefühl, dass irgendwas gerade richtig schiefläuft. Wie beurteilen Sie als Wirtschaftswissenschaftler die Lage?

Ich denke, dass viele Bürger dieses Gefühl haben, weil die Bundesrepublik in so vielen Dingen hinterherhinkt. Das sind wir seit dem Zweiten Weltkrieg nicht gewohnt. Aus wirtschaftlicher Sicht gibt es dafür eine recht simple Erklärung: In Deutschland regiert in großen Teilen die Planwirtschaft. Dadurch haben wir in unseren Schlüsselindustrien unsere Wettbewerbsvorteile aus der Hand gegeben und bezahlen nun den Preis dafür.

Können Sie Beispiel dafür nennen?

Nehmen Sie die Automobilindustrie. Deutschland war bei den Verbrennern weltweit führend. Durch eine zunehmend restriktive Regulierung zum Beispiel zu Abgas- und Verbrauchswerten haben wir den Verbrenner faktisch verboten. Stattdessen gibt die Politik eine andere Technologie vor, nämlich Elektromotoren. Da die den Kunden zu teuer sind, wird so lange subventioniert, durch Kaufprämien, Steuervorteile und so weiter, bis es passt. Das ist reine Planwirtschaft.

Das Problem ist, dass E-Autos viel einfacher zu produzieren sind als Verbrenner. China mit seinen geringen Lohn- und Energiekosten hatte also keine Probleme, uns innerhalb kürzester Zeit zu überholen. So hat die staatliche Planung dazu geführt, dass wir unseren globalen Wettbewerbsvorteil aus der Hand gegeben haben ‐ und das in einer der wichtigsten deutschen Schlüsselindustrien. Das wird uns noch schwer auf die Füße fallen.

Wie hätte man das Problem anders lösen können? Denn aus klimatischer Sicht ist es sicherlich nicht klug, fossile Rohstoffe zu verbrennen, um sich fortzubewegen.

Ja, sicherlich. Aber die Wirtschaft muss selbst die besten Technologien finden, um etwaige politische Ziele zu erreichen. Zum Beispiel hätte es unseren Wettbewerbsvorteil erhalten, wenn wir auf E-Fuels gesetzt hätten. Die sind sogar komplett CO2-neutral, während Elektro erst dann CO2-neutral ist, wenn all unser Strom klimaneutral produziert wird. Davon sind wir aber meilenweit entfernt. Die Autoindustrie ist nur eins von vielen Beispielen. Insgesamt nehmen planwirtschaftliche Elemente in der Politik beängstigende Ausmaße an, weil sie überall zu Problemen führen, von der Stahlindustrie über die Wohnungspolitik bis zum Klimaschutz.

Wie erklären Sie sich, dass diese sozialistischen Fantasien eine so starke Anziehungskraft ausüben? Und zwar nicht nur auf die Politik, die es als ihre Aufgabe ansieht, alles bis ins kleinste Detail zu regulieren, sondern auch bei den Bürgern? Gerade staatliche Eingriffe in den Wohnungsmarkt sind ziemlich populär.

Ich glaube, dass es daran liegt, dass in Deutschland die meisten Leute die Marktwirtschaft nicht richtig verstehen. Deshalb ist ihnen nicht klar, dass sie ihren Wohlstand nur der Marktwirtschaft zu verdanken haben und nicht der Politik. Wir haben eine sehr leistungsfähige, starke Privatwirtschaft, deshalb sind wir wohlhabend ‐ und nicht, weil wir besonders gute Planer in der Politik haben. Dieses Bewusstsein ist weder in der Bevölkerung noch in den Medien vorhanden, und in der Politik schon gar nicht. Die Leute verstehen schlicht wirtschaftliche Zusammenhänge nicht.

Komplexe Antworten bleiben auf der Strecke

Joachim Weimann wurde 1956 in Düsseldorf geboren und ist Professor für Volkswirtschaftslehre an der Otto-von-Guericke-Universität Magdeburg. In seinem 2022 erschienenen Buch „Einfach zu einfach ‐ Wie die leichten Lösungen unsere Demokratie bedrohen“ beschreibt Weimann, warum sich die Politik immer wieder einfachen Scheinlösungen bedient, die die Probleme unserer Zeit nicht lösen können. Komplexe Antworten, die die Probleme lösen würden, bleiben dabei auf der Strecke, weil sie der Mehrheit der Wähler nicht vermittelbar sind.

 

Sie arbeiten seit 30 Jahren als Universitätsprofessor. Fehlt dieses Wissen auch in akademischen Zirkeln?

Leider gibt es auch in akademisch ausgebildeten Kreisen viel Unverständnis für ökonomische Zusammenhänge. Aber woher soll das Wissen auch kommen? Es gibt in Deutschland keine Partei mehr, die offensiv eine marktwirtschaftliche Position vertritt. Die CDU hat das aufgegeben und auch die FDP hat sich in der Ampel weitestgehend der Politik der Planwirtschaft angepasst. Und das öffnet denjenigen die Tore, die den Kapitalismus überwinden wollen. Es gibt in Deutschland leider viele Menschen, die mit Freiheit und Marktwirtschaft nichts anfangen können. Und diese Leute bekommen Zulauf, weil die Menschen nicht durchschauen, woher ihr Wohlstand eigentlich kommt, warum sie Bildung, Rente, ein Haus und eine Krankenversicherung haben.

Die Tatsache, dass eine freie Wirtschaft zu einem Wachstum des Wohlstands führt, ist doch gar nicht so schwer zu verstehen. Warum haben es marktwirtschaftliche Problemlösungen so schwer?

Tatsächlich hat es meiner Meinung nach auch etwas damit zu tun, wie politisch kommuniziert wird. Es ist zum Beispiel äußerst schwierig, in Talkshows die Komplexität der richtigen politischen Handlung darzulegen. Beispiel: Wenn die Mieten steigen, dann heißt das, dass die Nachfrage das Angebot übersteigt. Also muss die Politik die Bedingungen dafür schaffen, dass neuer Wohnraum entsteht. Das ist schwierig. Es ist viel leichter, eine Mietpreisbremse zu fordern und den Leuten was von bösen Wohnungskonzernen zu erzählen.

Politiker entscheiden sich meist für diese einfachen Lösungen, weil diese einfach zu verstehen sind und das wiederum ihre Wiederwahlchancen erhöht ‐ selbst wenn es sich nur um eine Scheinlösung handelt, die eher negative als positive Effekte hat. Das ist zwar reiner Populismus, wird aber gewählt.

So wie beim Heizungsgesetz, das wahnsinnig viel Geld kostet, die Menschen gegen den Klimaschutz aufbringt, aber kaum CO2 einspart?

Ja, ganz genau. Ein anderes schönes Beispiel ist die Plastikverschmutzung der Ozeane. Der Anteil von europäischem Plastik in den Weltmeeren liegt bei 0,28 Prozent. Der Effekt eines Verbots von Plastikstrohhalmen in Europa tendiert also gegen null. Ein Verbot ist rein populistisch motiviert. Aber es ist eine einfache Lösung.

Eine echte Lösung wäre, sich anzusehen, wo das Plastik in den Ozeanen herkommt. Es kommt zu 86 Prozent aus Asien, weil dort die Infrastruktur fehlt, Müll vernünftig zu entsorgen. Dieses Problem anzugehen ist viel schwieriger und vor allen Dingen ist es in Deutschland nicht so öffentlichkeitswirksam. Also entscheidet sich die Politik für die einfache Lösung, auch wenn sie keinen Nutzen bringt, um danach sagen zu können: „Wir machen das, wir sind die Guten“.

Wenn wir also in Deutschland vor allem auf planwirtschaftliche Scheinlösungen setzen, welche Folgen hat das für die Klimapolitik?

Es führt dazu, dass wir die Probleme vergrößern. Wir bräuchten erstens eine internationale Kooperation, weil sich der Klimawandel in Deutschland allein nicht stoppen lässt. Eine rein nationale Klimapolitik ist irrational. Und wir brauchen zweitens Kosteneffizienz, die durch die staatliche Planwirtschaft verhindert wird. Derzeit betreibt der Staat Klimapolitik mit der Brechstange und fordert CO2-Vermeidungsmaßnahmen ein, die Bürger und Unternehmen niemals von allein durchführen würden, weil sie viel zu teuer sind. Deshalb muss der Staat sie erzwingen oder durch Steuern finanzieren. Das wird die Staatshaushalte schnell überfordern.

Viel besser wäre es, wenn wir den Wärmemarkt und den Verkehrssektor in den Emissionshandel integrieren würden. Doch das ist schwer zu vermitteln ist. Die wenigsten Politiker haben das Wissen, um den Bürgern in einer Talkshow zu erklären, dass wir dann mehr Klimaschutz zu geringeren Kosten hätten. Deshalb sind sie Klimaaktivisten hilflos ausgeliefert. Das ist ein Riesenproblem, weil wir orientierungslos durch die vielen Krisen eiern.

Das ist ein tiefgreifendes strukturelles Problem. Haben Sie Hoffnung, dass sich das bessert?

Ich bin jetzt 30 Jahre in der Klimapolitik unterwegs und habe immer die Hoffnung gehabt, dass sich etwas ändert, dass die normative Kraft des Faktischen irgendwann zuschlägt. Genau das passiert gerade, die Leute merken, dass die planwirtschaftliche deutsche Klimapolitik irrational ist. Aber wir sind darauf nicht vorbereitet, weil es keine Alternative im politischen Angebot gibt. Die AfD kann man völlig vergessen. Im pessimistischen Szenario folgt also eine immer tiefere gesellschaftliche Spaltung, ähnlich wie in den USA, und es bricht hier so einiges zusammen, bevor es wieder besser wird.

Und im optimistischen Szenario?

Im optimistischen Szenario besinnt sich die Politik auf Rationalität und freie Marktwirtschaft. Ein Schritt dorthin wäre, dass sich Politiker nicht selbst aussuchen könnten, von welchen Wissenschaftlern sie beraten werden. Diese Entscheidung müsste aus der Wissenschaft selbst kommen, so dass die Auswahl von Politikberatern sich an Exzellenz orientiert, und nicht an Ideologie. Das wäre zumindest ein Anfang.

Womit Hans-Werner Sinn recht hat

Erschienen bei der Frankfurter Allgemeinen Zeitung am 13.09.2023

Nur eine internationale Kooperation kann das Klimaproblem lösen. Das zu ignorieren ist naiv und gefährlich. Ein Gastbeitrag.

Hans-Werner Sinn hat in der F.A.Z. eine durchaus scharfe Kritik an der deutschen Klimapolitik veröffentlicht, die vor allem den deutschen Alleingang als falsch und kontraproduktiv geißelt. Der Energieökonom Lion Hirth unterzieht diese Kritik, ebenfalls in der F.A.Z., einem „Realitätscheck“, der zum Ergebnis hat, Sinns Analyse sei falsch und die Klimapolitik Deutschlands richtig. Er gelangt zu diesem Urteil allerdings nicht, indem er Fakten anführt, die Sinn widersprechen, er stellt ihm lediglich Behauptungen entgegen. Zeit, sich die Fakten einmal anzusehen.

Beginnen wir mit der Kontroverse um den Alleingang. Hirth bezeichnet die Forderung Sinns nach internationalen Abkommen als „naiv“, weil die sowieso nicht zustande kommen und weil sich auch ohne ein solches Abkommen schon sehr viel tue auf der Welt. Um zu überprüfen, ob dem wirklich so ist, kann man sich die globalen CO2-Emissionen ansehen, die in der Grafik abgetragen sind.

Die obere Linie zeigt die globalen Emissionen, die untere die Emissionsmengen, die sich ergeben, wenn die Deutschlands abgezogen werden. Die Grafik zeigt, dass erstens die globalen Emissionen ungebrochen steigen, zweitens eine rein nationale Klimaneutralität Deutschlands darauf überhaupt keinen Einfluss hätte und drittens, dass der einzige Rückgang der Emissionen durch die Corona-Pandemie verursacht wurde. Die Pandemie hat eine (wenn auch unfreiwillige) global koordinierte Reduktion des Einsatzes fossiler Brennstoffe bewirkt, und nur eine solche hilft gegen den Anstieg der CO2-Emissionen.

Bachelor in Wirtschaftspsychologie: Neuer berufsbegleitender Studiengang der OVGU

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Die Otto-von-Guericke-Business School bietet schon seit 20 Jahren berufsbegleitende Studiengänge der Otto-von-Guericke-Universität an. Nun wird ein weiterer dazukommen. Ab dem kommenden Semester ist es möglich, einen Bachelor Studiengang "Wirtschaftspsychologie" zu belegen.

of Arts – of Science – Professional

Uniporta Universität Magdeburg

Wie eine Namensgleichheit für Verwirrung bei Hochschulzulassungen sorgt und was der DQR/EQR dazu beiträgt.

In vielen Köpfen ist das gute alte deutsche Diplom der Goldstandard unter den Hochschulabschüssen. Mit der Bologna-Reform wurde dieser durch die Abschlüsse Bachelor und Master ersetzt. Seit 2006 bietet auch die Fakultät für Wirtschaftswissenschaft (FWW) der Otto-von-Guericke-Universität Magdeburg (OVGU) ausschließlich diese neuen Abschlüsse an. Dabei gab es einen Bachelor sogar schon seit 1998 und war damit einer der ersten rein englisch-sprachigen Bachelorabschlüsse in Deutschland. Internationalität wurde in Magdeburg schon immer großgeschrieben.

Nach mehr als 15 Jahren sind beide Abschlüsse nunmehr auch in der Breite der Gesellschaft angekommen und es gab nur kleinere Nuancen: die Unterscheidung bei den Zusätzen "of Arts" und "of Science". Welchen Abschluss eine Hochschule vergibt, entscheidet sie selbst. Die FWW hat sich damals dazu entschlossen, ihre wissenschaftlich orientierten Studiengänge mit "of Science" und die praxisorientierten Studiengänge mit "of Arts" voneinander zu unterscheiden.

2013 wurde ein weiterer Rahmen für Studienabschlüsse eingeführt: der Deutsche Qualitätsrahmen (DQR), der auf dem seit 2008 existierenden Europäischen Qualitätsrahmen (EQR) aufsetzt. Hierbei werden insgesamt 8 Referenzniveaus, bezugnehmend auf die Komponenten Wissen, Fertigkeiten, Sozialkompetenz und Selbständigkeit, festgelegt und voneinander abgegrenzt. Für die Hochschulen wichtig sind dabei die Stufen 6 (Bachelor), 7 (Master) und 8 (Promotion).

Intel: Glücksfall oder Sündenfall?

Zur geplanten Ansiedlung von Intel in Magdeburg / Ein Gastbeitrag von Joachim Weimann

Die geplante Intel-Ansiedelung in Magdeburg ist vom Institut für Wirtschaftsforschung in Halle (IWH) heftig kritisiert worden. Aber die Vorteile einer Ansiedlung sind sehr groß.

Während Professor Oliver Holtemöller eher Magdeburg- spezifische Kritik übt (Magdeburg ist zu ausländerfeindlich und wird es nicht schaffen, Fachkräfte anzuziehen), argumentiert Professor Reint Gropp geopolitisch. Sein Argument: Es ist für die EU besser, darauf zu vertrauen, dass die USA ihre Chipproduktion subventionieren werden, und dann von dort Chips zu beziehen, als selbst in den Subventionswettlauf einzusteigen.

Leider sind aber die Dinge nicht mehr so klar wie noch vor 10 Jahren. Welchen Kurs die USA in den nächsten beiden Dekaden einschlagen werden, ist offen. So sicher, wie es Reint Gropp darstellt, ist es jedenfalls nicht, dass Europa Schlüsseltechnologie aus den USA jederzeit und in jeder gewünschten Menge wird beziehen können. Der Aufbau eigener Kapazitäten könnte angesichts wachsender geopolitischer Unsicherheit deshalb eine vernünftige Politik sein.